„Es ist jetzt an der Zeit, den Fokus auf gemeinsame Werte zu legen", ein Gespräch mit Amin Ali aus Syrien

„Es ist jetzt an der Zeit, den Fokus auf gemeinsame Werte zu legen", ein Gespräch mit Amin Ali aus Syrien

Amin Ali lebt seit 2016 im Odenwald, seine Geschichte finde ich bemerkenswert. Einmal hier angekommen, dauerte es eine Weile, bis er einen Sprachkurs besuchen konnte. In seiner Heimatstadt Damaskus hatte er an der Universität vier Semester Agrarwissenschaften studiert, bis ihn die Gefahrenlage dazu bewegte, sein Land zu verlassen. Er hatte lange gehadert, denn nur ungern gab er sein Studium und alles, was er bis dahin erarbeitet hatte, auf. In Deutschland arbeitete er als freiwilliger Helfer bei der DRK, wodurch er schnell die deutsche Sprache erlernte; zusätzlich lernte er die Sprache mittels verschiedener Möglichkeiten im Internet. Im Jahr 2017 besuchte er dann einen Sprachkurs und ab 2018 studierte er an der TU in Darmstadt Informatik. Anschließend hat er dort seinen Master in autonomen Systemen absolviert und arbeitet jetzt als KI-Ingenieur. Seit acht Jahren lebt er mit seiner deutschen Lebensgefährtin zusammen.

Auch wenn ich seine Geschichte bemerkenswert finde, sagt er, es gäbe sehr viele wie ihn. Es gibt viele syrische Ärzte und andere qualifizierte Fachkräfte in Deutschland.

Auf die Frage, wie es ihm mit körperlichen Angriffen durch Migranten geht, sagt er, dass ihm pauschal die Mitschuld gegeben wird und ein großer Druck auf Menschen wie ihn entsteht. Er ist sehr traurig über solche Gewalttaten und empfindet tiefes Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen. Er sagt aber auch, dass diese Attacken gegen uns alle gerichtet sind. Denn jemand, der beliebig mit einem Messer auf Menschen einsticht, schaut nicht, wen er vor sich stehen hat. Einen großen Anteil an der im Moment sehr angespannten Situation im Land haben die Medien, meint er. Menschen wie er und die Meinung, die sie hierzu haben, werden viel zu wenig gezeigt. Auch wenn er auf die Straße gehen würde, um zu äußern, dass er dies verurteilt und eine Veränderung möchte, würde dies kaum jemand zur Kenntnis nehmen. Die Medien verzerren das Bild dahin gehend, dass viele Bürger glauben, Muslime seien generell gefährlich. Es werden pauschale Aussagen getroffen, die ganze Gruppen von Menschen ignorieren, die hier leben. Solche vereinfachten Darstellungen sind nicht nur falsch, sondern tragen dazu bei, die Nachwirkungen solcher Anschläge zu verstärken, indem sie die Spaltung unserer Gesellschaft fördern. Menschen, welche ein normales Leben führen und ihrer Arbeit nachgehen, haben meistens keine Zeit, um regelmäßig in den sozialen Medien ihre Meinung hierzu kundzutun. Dies sei die Aufgabe der Medien. Nach seiner Meinung ist es jetzt wichtig, dass wir gemeinsam alles dafür tun, dass diese Taten ihre zerstörerischen Ziele nicht erreichen und dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft lernt zusammenzuhalten.

Er selbst hat in Syrien viel gesehen und auch erlebt und ist sich sehr bewusst, dass es gefährliche Ideologien gibt, die auch dort nicht besiegt sind. Erfahrungsgemäß richtet sich dort die Gewalt solcher Extremisten jedoch nicht nur gegen Christen und Juden, sondern sogar viel mehr gegen Muslime.

Gläubig zu sein und Menschen körperlich anzugreifen oder sogar zu töten, sei ein Widerspruch in sich, meint er.

Als das Leben noch gut in Syrien war, haben Menschen aller Religionen friedlich nebeneinanderher gelebt. In seiner Zeit als Student sagte er, spielte es keine Rolle, welcher Religion jemand angehörte. In der Schule gab es neben muslimischem Religionsunterricht z.B. auch Unterricht für die christlichen Schüler. Außerdem haben nicht Muslime Alkohol getrunken und Schweinefleisch gegessen.

Die Frage, die sich ihm stellt, ist, wie wir den Fokus auf gemeinsame Werte legen und was wir machen können, um ein friedliches Zusammenleben zu fördern. Es ist für ihn schwer erträglich, dass Menschen wie er sich jetzt rechtfertigen müssen, obwohl er hier studiert hat, arbeitet und Steuern zahlt, ebenso wie der Rest seiner hier lebenden Familie.

Und auch wenn medial verbreitet wird, dass der Krieg in seinem Heimatland vorbei ist und man wieder zurückgehen könnte, sieht für ihn die Realität ganz anders aus. Der Ort, an dem er zuletzt gelebt hat, den gibt es z.B. gar nicht mehr, der ist komplett ausgelöscht. Generell ist Syrien weit davon entfernt, neu aufgebaut werden zu können.

Er wünscht sich mehr Medienpräsenz für normal und friedlich lebende Muslime und auch für andere Flüchtlinge, welche sich mittlerweile, genau wie er, integriert haben und ihren Beitrag auf dem Arbeitsmarkt leisten. Der Fokus sollte darauf gerichtet sein, wie wir gemeinsam diese zu verachtenden Ideologien und Gewalt bekämpfen. Sie sollten verschärft beobachtet, gemeldet und sehr ernst genommen werden. Der größte Anteil der hier im Land lebenden Muslime lehnt diese Gewalt ab und verurteilt sie. Er fordert, dass die Politik mehr dafür tut, um zu differenzieren und Aussagen klarer zu halten.

Der Blick auf Muslime ist generell einseitig, findet er. Sein Onkel ist z.B. Neurochirurg und seine Frau trägt ein Kopftuch. In der Stadt, in der sie zuerst lebten, war es unerträglich für sie, da sie aufgrund des Kopftuchs regelmäßig verurteilt wurden. Das Bild der unterdrückten, kopftuchtragenden Frau ist stark verbreitet. Dass die Frau seines Onkels selbst Zahnärztin ist, können sich viele Menschen nicht vorstellen. Sie sind jetzt in eine andere Stadt gezogen, wo das Leben leichter für sie geworden ist.

Schade findet er es, dass er trotz seines Bildungsstands und seines Einkommens aufgrund seines Namens, z.B. bei einem Vermieter, einfach abgelehnt wird.

„Wir sollten jeden Menschen einfach als Mensch wahrnehmen und ihm offen begegnen“, so Amin Ali.

 

Bild: Hier wird der Ortsteil Tishreen aus Damaskus gezeigt. Das obere Bild ist aus 2012, das untere Bild aus 2023.

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